Eine Blutabnahme bei Wildtieren ist für das Hellabrunner Tierärzte-Team immer wieder eine kleine Herausforderung, denn die meisten Tiere im Tierpark lassen sich nicht einfach so untersuchen. Bei einigen Patienten holen sich die Tierärzte deshalb tierische Hilfe: von Raubwanzen – kleinen, blutsaugenden Insekten.
Raubwanzen für medizinische Zwecke haben einen großen Vorteil: Das Tier, bei dem Blut abgenommen wird, muss nicht in Narkose gelegt werden. Zwar gibt es in Hellabrunn auch einige Tiere wie Elefant, Tiger und Eisbär, bei denen dank des regelmäßigen, medizinischen Trainings der Tierpflegerinnen und Tierpfleger ohne eine Narkose Blut abgenommen werden kann, bei anderen Tieren wie beispielsweise Java-Banteng oder Mähnenrobben ist dies nicht so leicht möglich.
Mithilfe von Raubwanzen kann jedoch eine nicht-invasive Blutprobe gewonnen werden, denn die Insekten ernähren sich von Blut. Raubwanzen mögen warme, wenig behaarte Körperregionen. Zur Gewinnung einer Blutprobe wird die Raubwanze, nachdem sie das Tier gestochen und sich vollgesogen hat, eingesammelt und das Blut entnommen. Der Stich einer Raubwanze ist für das Tier völlig harmlos – es kann lediglich etwas kitzeln, wenn die Raubwanzen auf dem Körper herumkrabbeln und sich eine passende Stelle für den Stich suchen. Der Speichel von Raubwanzen wirkt betäubend, sodass der Stich schmerzfrei ist und gar nicht bemerkt wird.
„Dank der Raubwanzen können wir bei einigen Tierarten stressfrei Blutproben von Zootieren bekommen, die nicht einfach fixiert werden können“, erklärt Tierärztin Dr. Maike Lücht und weiter: das „Raubwanzenblut“ ist vor allem für die Diagnostik von verschiedenen Infektionserregern geeignet.
Raubwanzen im 5. Larvenstadium zapfen etwa 1 bis 1,5 Milliliter Blut pro Stich ab. Diese Menge reicht oft schon, um die gewünschten Untersuchungsergebnisse zu bekommen. Nach dem Saugprozess wird der Wanze das Blut mittels Kanüle aus dem Körper gezogen, die Wanze kann dabei nur einmal für den medizinischen Zweck eingesetzt werden.
Raubwanzen gehören zu den Parasiten und kommen ursprünglich in Lateinamerika vor. Dort zählen sie zu den Überträgern der Chagas-Krankheit. Die in Hellabrunn genutzten Raubwanzen werden für den Zweck der Blutentnahme extra gezüchtet und können keine Krankheiten übertragen.
Nicht nur in Hellabrunn werden die Raubwanzen als Forschungshelfer eingesetzt. Zootierärzte aus ganz Deutschland tauschen ihre Erfahrungen in der Anwendung der Wanzen aus. „Es ist durchaus Kreativität gefragt, damit die Wanzen nicht vor oder bei dem Saugakt abgeschüttelt oder sogar aufgefressen werden. Außerdem tauschen wir Erfahrungen aus, für welche Diagnostischen Methoden das „Raubwanzenblut“ verwendet werden kann“, erläutert Dr. Maike Lücht.
Daten aus Monitorings von Zootieren sorgen nicht nur einen gesunden Tierbestand, sondern erweitern auch das Wissen über Wildtiere. „Als wissenschaftlich geführter Zoo ist es eine unserer tragenden Säulen, die Kenntnisse über Wildtiere stetig zu erweitern“, so Tierparkdirektor Rasem Baban und weiter: „Dabei bin ich immer wieder erstaunt, welche kreativen Methoden im Bereich der Tiermedizin zum Einsatz kommen.“